Eine falsche Annahme.

Folgende Ausgangssituation: Ein Sprinter möchte schneller werden und seine 100m Zeit verbessern. Im Sprinttraining wird ihm fortan ein Fallschirm angehängt, den er hinter sich herziehen muss. Der zusätzliche Widerstand sorgt für eine zusätzliche Kraftanstrengung der beim Sprinten arbeitenden Muskulatur. Dementsprechend ist der Trainingseffekt auf eben jene Muskulatur größer als ohne Fallschirm. Wir gehen somit davon aus, dass sich die 100m Zeit des Sprinters im Anschluss an die Trainingsphase mit Fallschirm verbessert hat, da er sich an das Laufen mit Widerstand gewöhnt hat und die gewonnene Kraft nun ohne zusätzliche „Bremse“ voll zur Geltung kommt. Letztendlich wird sich herausstellen, dass sich seine 100m Zeit verschlechtert hat. Wieso fragt man sich.

Bei den vergangenen Trainingseinheiten hat sich die muskuläre Koordination des Sprinters auf das Sprinten mit zusätzlichem Widerstand angepasst. Währenddessen hat er gelernt den Einfluss des Windes, der eventuell während dem Laufen aufkommt, besser auszugleichen. Auch hat er sich daran gewöhnt, dass der Fallschirm die ersten paar Meter des Laufes noch nicht mit Luft befüllt ist und der Widerstand ruckartig einsetzt, sobald sich der Schirm mit Luft gefüllt hat. Kurzum wird er sich beim Sprinten mit Fallschirm verbessert haben. Ohne den zusätzlichen Widerstand gelten jedoch andere Gesetzmäßigkeiten und somit andere Anforderungen an die muskuläre Koordination. Der Sprinter muss seine Lauftechnik erst wieder an den Lauf ohne Fallschirm anpassen. Des Weiteren war der Widerstand, den der Fallschirm generiert hat, nicht hoch genug, um einen wirksamen Trainingsreiz zu setzen. Das Kraftniveau des Sprinters ist nicht gestiegen.

Was Krafttraining tun kann.

Daraus lernen wir, dass der Versuch sportartspezifische Bewegungsmuster ins Krafttraining zu übertragen oftmals nicht zielführend ist. Wer in einer Sportart besser werden möchte, muss eben jene Sportart trainieren. Ein komplementäres Krafttraining hierzu kann einen großen, wenn nicht entscheidenden, Mehrwert darstellen. Dabei sollte das Krafttraining darauf ausgelegt sein, dass der Sportler verletzungsfrei bleibt, um seinen Sport ohne Unterbrechungen ausüben und trainieren zu können. Darüber hinaus muss das Training eine grundlegende Athletik ausbilden, damit der Sportler den körperlichen Anforderungen seiner Disziplin gewachsen ist und weiterführend eine körperliche Überlegenheit gegenüber seiner Gegenspieler entwickelt.

Um dies zu realisieren, muss im Krafttraining das ausgebildet werden, was in der Sportart nicht oder nur geringfügig trainiert wird. Hier besteht das größte körperliche Entwicklungspotential des Athleten. Es müssen Bewegungen durchgeführt und Gelenkwinkelpositionen eingenommen werden, die neu sind, um die Strukturen für den „Ernstfall“ vorzubereiten und weniger verletzungsanfällig zu sein, wenn es im Sport chaotisch wird. Hier ist beispielsweise die Fremdeinwirkung eines Gegenspielers, das „Hängenbleiben“ im Rasen oder das Umknicken auf einer unebenen Oberfläche zu nennen. Starke Muskeln, Sehnen und Bänder schützen das Gelenk.

Mutter Maximalkraft.

Darüber hinaus gilt es das grundlegende Maximalkraftniveau eines Sportlers zu steigern. „Maximalkraft ist die Mutter aller Kraftqualitäten“ (– Prof. Dr. Dr. Schmidtbleicher). Eine Steigerung der Maximalkraft trägt somit auch eine Steigerung der Schnellkraft, Explosivkraft, Startkraft, Reaktivkraft, Kraftausdauer, Absolutkraft und Relativkraft in sich. Somit können wir feststellen, dass Krafttraining die allgemeine Leistungsfähigkeit steigert, die in allen Sportarten vonnöten ist. Verglichen mit einem Rennwagen wird im Krafttraining die „Power Unit“ verbessert. Der Motor ist in der Lage mehr Leistung zu generieren. Anschließend müssen die Ingenieure Wege finden, die zusätzliche Kraft effizient auf die Straße zu bringen. Beim Athleten geschieht dies beim Training seiner Sportart. Der Sportler lernt, seine höhere Leistungsfähigkeit im Kontext der jeweiligen technischen Anforderungen des Sports einzusetzen.

Wenn Krafttraining also eingesetzt wird, um sportliche Leistung zu verbessern, muss zunächst ein grundlegendes Kraftniveau geschaffen werden. Dazu bedarf es keinen ausgefallenen Trainingsmethoden und Spezialübungen. Am sichersten und effizientesten lassen sich die klassischen Übungen des Krafttrainings in all ihren Varianten einsetzen. Es kann strukturiert und mit minimalem Verletzungsrisiko trainiert werden. Dabei ist es zusätzlich von Vorteil, dass sich bei entsprechender Trainingsplanung von Einheit zu Einheit Fortschritt erzielen lässt. Eine einzigartige Eigenschaft des Krafttrainings.

Wie stark muss ich sein?

In welchem Maße das grundlegende Kraftniveau ausgebildet sein sollte, ist natürlich auch von der jeweiligen Sportart, vielmehr deren Anforderungen abhängig. Ein Fußballer sprintet mehr als ein Ringer, muss seinen Gegner aber nicht über mehrere Minuten greifen, halten und sich seiner Gegenwehr widersetzen. Dementsprechend ergeben sich hier andere Beanspruchungen an den Körper, die in der Trainingsplanung berücksichtigt werden müssen. Auch die genetischen Voraussetzungen und die Morphologie des Sportlers haben Einfluss. Jemand mit langen Oberschenkeln wird bei der Kniebeuge, aufgrund der Hebelverhältnisse, mehr Kraft aufbringen müssen, um ein gleichschweres Gewicht zu bewegen, als jemand mit kurzen Oberschenkeln. Um ein Beispiel-Benchmark aus dem Leistungssport zu nennen: Im Sprint (100, 200, 400m) wird hier für Kniebeuge und Kreuzheben oftmals das doppelte Körpergewicht angegeben. Ein gutes Indiz dafür, dass der Sportler dazu in der Lage ist, seine Muskulatur effizient zu koordinieren.

Unter optimalen Voraussetzungen wird davon ausgegangen, dass ein Individuum sein maximales Kraftpotential innerhalb von 2 Jahren erreichen kann. In der Realität stellt sich diese Zeitspanne jedoch in den allermeisten Fällen als utopisch dar. Kein Sportler hat die Möglichkeit das Krafttraining über 2 Jahre hinweg als oberste Priorität anzusiedeln. Dies ist auch nicht nötig. Das sportspezifische Training und der Wettkampf haben immer Vorrang. Ein komplementäres Krafttraining kann den Fortschritt, der in der jeweiligen Sportart gemacht werden kann, jedoch bedeutend steigern. Ab einem bestimmten Niveau ist Krafttraining dabei unabdingbar, um den Belastungen des Sports auf den Bewegungsapparat gewachsen zu sein. Darüber hinaus haben die athletischen Voraussetzungen einen direkten Einfluss auf die potenzielle Leistungsfähigkeit in der Ausübung der Sportart und sind mitentscheidend. Wer gewinnen will, macht Krafttraining.

Back to the basics.

Abschließend ist zusammenzufassen, dass sportartspezifisches Krafttraining nicht zu spezifisch sein muss. Gerade zu Beginn sollte sich darauf konzentriert werden das Training so zu konzipieren, dass effektiv und effizient Kraft aufgebaut werden kann. Gemäß des KISS-Prinzips (Keep it simple, stupid) sind hier die klassischen Übungen des Krafttrainings der richtige Weg. Sobald ein grundlegendes Kraftniveau erreicht und auch eine dementsprechende körperliche Robustheit erlangt worden ist, kann das Training gerne spezifiziert werden, um beispielsweise eine größere Auswahl an Bewegungsoptionen zu erlangen oder die Trainingsmotivation durch Übungsvariation hochzuhalten. Grundlegend gilt jedoch, dass die jeweilige Technik einer Sportart auch nur durch deren Training verbessert werden kann. Wer zusätzlich stärker, leistungsfähiger und robuster werden will, macht Krafttraining. Performance for Performers eben.

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