Ein Gläschen darf ich doch, oder nicht?

Wir alle wissen um den potentiell schlechten Einfluss von Alkohol auf unsere Gesundheit und doch heißt es häufig: „Gegen ein Gläschen am Abend ist doch nichts einzuwenden!“ Andere Sichtweisen sind hingegen davon überzeugt, dass Alkohol nur Unheil bringt. Bei beiden Ansichten handelt es sich offensichtlich um primär subjektive Einschätzungen. So stellt sich für viele die Frage:

Beraube ich mir grundlegend meinem Potential als Sportler, Unternehmer, Ehepartner, Elternteil, oder Mensch, wenn ich Alkohol trinke oder kann ich auch von ihm profitieren?

Wie bei den meisten polarisierenden Themen existiert zum aktuellen Zeitpunkt kein eindeutiges richtig und falsch. Stattdessen scheint die Wahrheit irgendwo in der Mitte zu liegen. Und diese Mitte gilt es zu finden.

Gift.

Objektiv betrachtet ist Alkohol ein Zellgift, das Organe und Nerven schädigt. Auf biologischer bzw. physiologischer Ebene scheint er nur Nachteile mit sich zu bringen und fördert viele Zivilisationskrankheiten, verursacht Schlafstörungen, intensiviert Ängste und Depressionen, erhöht Aggression und Gewaltbereitschaft, macht abhängig, schränkt die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit ein, usw. Kurz gesagt besitzt Alkohol das Vermögen, für Probleme in allen Bereichen des Lebens zu sorgen.

Allerdings ist es bei weitem nicht so, dass die langlebigsten Populationen auf unserem Planeten gänzlich auf Alkohol verzichten. Die Bewohner der sog. Blue Zones, welche eine auffällig hohe Lebenserwartung aufweisen, konsumieren durchschnittlich zwei alkoholische Getränke pro Tag. Nicht gerade wenig.

Alles eine Frage der Dosis.

Ein gesunder Vitamin D Spiegel optimiert eine Vielzahl von Stoffwechselfunktionen und sorgt für eine gesteigerte Leistungsfähigkeit. In hoher Dosierung wird Vitamin D allerdings auch als Rattengift eingesetzt. Mandeln, Aprikosenkerne und Vitamin B12 Supplemente auf Basis von Cyanocobalamin enthalten Cyanid. Das ist in geringen Mengen unbedenklich, in hoher Dosis jedoch tödlich. Wasser ist die Grundlage des Lebens. Wer aber zu viel davon in kurzer Zeit trinkt, kann eine lebensgefährliche Wasservergiftung erleiden.

Es scheint einen gewissen Punkt zu geben, an dem bestimmte Stoffe zum Problem für uns werden. Alkohol ist und bleibt ein Gift. Wir alle kennen jedoch den Unterschied zwischen ein, zwei Gläsern Wein zum Abendessen und ein, zwei Gläsern zu viel. Spätestens der nächste Tag sollte Aufschluss darüber geben.

Menge & Frequenz.

Sind es die eben angesprochenen ein, zwei Gläser oder ist es eine Flasche Wein? Ist es ein kleines Bier oder gleich ein ganzes Sixpack zum Feierabend? Ist es mal ein kleiner Aperitif zu einem bestimmten Anlass, wird jedes Wochenende viel getrunken oder gehört Alkohol sogar zum Alltag?

Es ist ziemlich klar und unstrittig, dass Alkohol nur gelegentlich und in Maßen genossen werden sollte. An dieser Stelle kann das Gefühl am Tag danach als guter Gradmesser dienen. Wer sich hier nicht negativ beeinträchtigt fühlt, scheint nicht zu tief ins Glas geguckt und seinem Körper zu viel zugemutet zu haben.

Dabei kann auch die Wahl der alkoholischen Getränke eine Rolle spielen. An dieser Stelle scheinen trockene Weine und klare Spirituosen im Vorteil. Bier, Longdrinks, Cocktails & Co. enthalten Zucker und andere Inhaltsstoffe, die die negativen Auswirkungen von Alkohol zu verstärken scheinen und auch einzeln betrachtet nicht förderlich sind. Wahrscheinlich können auch Sie ziemlich gut einordnen, was und wie viel Sie trinken können, ohne am nächsten Tag Abstriche machen zu müssen – hören Sie auf sich.

Übrigens herrscht in der Wissenschaft aktuell weitestgehend Konsens darüber, dass zwei alkoholische Getränke pro Woche, physiologisch gesehen, keine negativen Konsequenzen nach sich ziehen.

Stress or decompress.

Eingehend auf die Auswahl des alkoholischen Getränks, spielt es selbstverständlich auch eine große Rolle, welche anderen Entscheidungen man in seinem Alltag trifft und welche anderweitigen gesundheitlichen Konsequenzen dies nach sich zieht.

Trinke ich nach dem Feierabend-Workout ein Glas Weißwein zu einem ausgewogenen Abendessen mit meiner Familie oder fällt die Wahl auf Bier und Chips zu später Stunde vor dem Fernseher?

Führen Sie sich vor Augen, welche anderen Stressoren im Alltag auf Sie gewirkt haben.

Stellt Alkohol für Sie einen zusätzlichen Stressor dar?

Set & setting.

Anstatt ihn zum zusätzlichen Stressor werden zu lassen, kann Alkohol auch dazu genutzt werden, die positiven Momente des Lebens zu verstärken.

Sie kennen den Unterschied. Achten Sie darauf.

Soziales Gleitmittel.

Der größte Nutzen von Alkohol liegt in meinen Augen darin, positive, soziale Interaktion zu fördern und dem Leben mehr Leben zu geben.

Alkohol kann überaus behilflich dabei sein, das Kennenlernen neuer Menschen und den Beziehungsaufbau zu fördern. Es ist mitunter erstaunlich, wie schnell man tiefere Gesprächsthemen erreicht, wenn die innere Anspannung verringert ist. Dazu braucht es meist nicht mehr als ein bis zwei Getränke, wenn wir ehrlich sind.

Das Phänomen des sozialen Gleitmittels wird beispielsweise in den schon angesprochenen Blue Zones deutlich. Hier wird nicht alleine getrunken, um den Sorgen des Alltags zu entfliehen. Alkohol kommt ausschließlich in der Gemeinschaft zum Einsatz, um eine gute Zeit zu haben und das Beisammensein zu zelebrieren.

Ein starkes soziales Netzwerk, zwischenmenschliche Beziehungen und Vertrauen sind Schlüsselfaktoren für Resilienz und Stressmanagement. Das Wissen, Menschen um sich zu haben, die einem im Fall der Fälle den Rücken stärken, sorgt nachweislich für einen grundlegend geringeren Cortisolspiegel und demnach gesenkten Stresslevel. In Zeiten von Transformationen jeglicher Art und konstanter Reizüberflutung durchaus erstrebenswert. Wenn Alkohol also dazu beiträgt, soziale Beziehungen zu fördern, darf er meiner Ansicht nach, im gegebenen Rahmen auch gerne zum Einsatz kommen.

Was heißt das nun für mich?

Um die eingehende Frage für sich zu beantworten, sollte man sich zusammenfassend folgende Fragen stellen:

  • Pflege ich gesunde Gewohnheiten wie regelmäßige Bewegung, ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf, etc.?
  • Trinke ich nur gelegentlich und in Maßen?
  • Nutze ich Alkohol um meine Realität zu verstärken, anstatt ihr zu entfliehen?

Wer diese Fragen eindeutig mit Ja beantworten kann, wird von seinem Alkoholkonsum wahrscheinlich nicht signifikant beeinträchtigt. Wer Alkohol darüber hinaus erfolgreich als soziales Gleitmittel einsetzt, kann von einem gelegentlichen Glas sogar profitieren und seinem Leben mehr leben geben.

Seien Sie achtsam – drink responsibly.

Quelle Foto: Inga Seliversova on Pexels