All hail the queen.
Keine andere Kraftübung hat einen größeren Trainingseffekt auf unseren Bewegungsapparat als die Kniebeuge. Vom stabilen Fuß und der Beweglichkeit im Sprunggelenk, über die primär dynamisch arbeitenden Gelenke Knie und Hüfte, zu einem stabilen Rumpf und Schulterblatt. Keine andere Kraftübung erzeugt eine solch ausgewogene Symbiose aus Mobilität und Kraft der gelenkumschließenden Strukturen. Dabei handelt es sich auf muskulärer Ebene primär um das Zusammenspiel der kniestreckenden und der hüftstreckenden Muskulatur sowie der hauptsächlich isometrischen Muskelspannung der Streckmuskulatur der Wirbelsäule . Die Muskelgruppe der Hüftstrecker und der Streckmuskulatur der Wirbelsäule wird zusammengefasst auch „hintere Kette“ genannt. Zusätzlich ist die Muskulatur des Rumpfes aktiv, um die aufrechte Oberkörperposition zu stabilisieren.
Die Fähigkeit seinen Körper, inklusive Zusatzgewicht, aus der tiefen Hockposition in den aufrechten Stand zu bringen und dabei die Kontrolle über die Position aller Gelenke im Raum zu wahren erfordert ein hohes Maß an Kraft, Mobilität und Koordination. Dementsprechend ist der Übertrag der Kniebeuge auf die Belastungen, die uns im Sport und Alltag erwarten, enorm hoch.
Auf die Hocke kommt es an.
Um die Kniebeuge zielführend und sicher auszuführen, muss jedoch vor allem eine Grundvoraussetzung geschaffen sein, auf die schon kurz eingegangen wurde. Wie bei (fast) allen Kraftübungen, sollte der gesamte Bewegungsumfang der Bewegung einbezogen werden, um die beteiligte Muskulatur und die passiven Strukturen biomechanisch sinnvoll zu belasten. Im Falle der Kniebeuge beginnt die Bewegung im aufrechten Stand und endet in der tiefen Hocke, d.h. die Oberschenkel bedecken die Waden aus der hinteren Ansicht komplett.
Da die tiefe Hocke eine Position ist, die in unseren Kulturkreisen höchst selten bis gar nicht eingenommen wird, wird Sie von den meisten mit dem Heranwachsen verlernt. Kleinkinder hingegen, sieht man noch recht häufig in der Hocke. Einige werden nun vielleicht sagen, dass sie keine Kleinkinder sind und die Hockposition in Ihrem Alltag oder Sport nicht benötigen. Warum die Fähigkeit, seine Knie voll zu beugen und in dieser Position zu belasten auch im Erwachsenenalter von Vorteil ist, wird im Folgenden erläutert.
Zunächst gilt es also, die Beweglichkeit wieder herzustellen, sollte sie nicht vorhanden sein. Am besten funktioniert dies „learning-by-doing“ mit dem eigenen Körpergewicht bzw. teil-entlastet, indem man sich dabei mit den Händen an einer Sprossenwand o.Ä. festhält. Es ist zu empfehlen, mehrmals täglich in die Hocke zu gehen und den Bewegungsablauf der Kniebeuge zu wiederholen, um den motorischen Lerneffekt zu verstärken und die Strukturen des Bewegungsapparates an diese Bewegung zu gewöhnen. Sobald der Bewegungsablauf der tiefen Kniebeuge verinnerlicht ist und kontrolliert ausgeführt werden kann, kann damit begonnen werden die Bewegung mit Zusatzgewichten zu beladen, um die Kraft progressiv zu steigern.
Starke Knie.
Wie bereits geschildert, ist es bei der Ausführung der Kniebeuge essenziell, den Bewegungsumfang im Kniegelenk, in Anbetracht der körperlichen Voraussetzungen, so groß wie möglich zu gestalten. Eine Kniestreckung, die in allen ihren Winkelpositionen eine gute Kraftentwicklung besitzt, weist auch eine hohe Gelenksintegrität auf. D.h. das Kniegelenk besitzt eine gute Stabilität, da die muskuläre Kraft sowie die Widerstandsfähigkeit der beteiligten Sehnen und Bänder über den kompletten Bewegungsumfang hoch ist. Im Umkehrschluss führen hohe Kraftunterschiede in den verschiedenen Winkelpositionen des Kniegelenks zu einer schlechteren Integrität/Stabilität. Das Prinzip der Gelenksintegrität betrifft übrigens alle Gelenke in unserem Körper.
Diesbezüglich ist auf praktischer Ebene beispielsweise festzustellen, dass der innere, untere Anteil unserer Kniestreckmuskulatur, der sog. Vastus medialis obliquus (VMO), primär erst unter einem Kniewinkel von unter 90° rekrutiert wird. Dieser Muskel wirkt dem nach lateral gerichteten Kopf des Quadriceps entgegen und ist so ein elementarer Teil des stabilen Kniegelenks. Eine Schwäche des VMO führt zu einer Seitwärtsverkippung des Knies nach innen, dem sog. Knievalgus, umgangssprachlich auch als X-Bein bekannt.
Wenn die Kniebeuge somit nur partiell in den oberen Winkeln trainiert und demnach nur dieser Teil des Bewegungsumfanges gekräftigt wird, entspricht dies einer aktiven Verschlechterung der Gelenksintegrität des Knies. Die obere Range wird gekräftigt, während die Kraft der unteren Range weitestgehend stagniert. Die Differenz des Kraftniveaus erhöht sich. Der VMO wird nicht ausreichend rekrutiert. Die Zugverhältnisse, die die Kniescheibe stabilisieren, geraten ins Ungleichgewicht. Erhöhte Abnutzung und Verletzungen können die Folge sein.
Wie der gesamte Körper profitiert.
Darüber hinaus erfährt auch die Streckmuskulatur der Hüfte eine weitaus höhere Rekrutierung, wenn über den vollen Bewegungsumfang trainiert wird. Das Gesäß, der Beinbizeps und die Adduktoren werden nur so ausreichend belastet. Der hierbei entstehende „Hip Drive“ sorgt für das kraftvolle Hochschieben der Hüfte aus der vorgedehnten Position, die bei der tiefen Kniebeuge eingenommen wird. Zusätzlich arbeitet die Streckmuskulatur der Wirbelsäule und die Rumpfmuskulatur auf isometrische Weise. Die „hintere Kette“ besitzt das im menschlichen Körper höchste Potential für Kraftentwicklung.
Um den unteren Rücken nicht zu stark zu belasten, sollte der Oberkörper möglichst aufrecht gehalten werden. Hierbei ist die Positionierung der Ellenbogen unterhalb der Langhantel und die leichte Streckung der HWS hilfreich. Der Blick geht nach vorne. Die Ellenbogen werden während des gesamten Bewegungsablaufs unter der Hantel gehalten. Um dies zu erleichtern ist es ratsam, die Hantel so körpernah wie möglich mit den Händen zu umgreifen. Dies sorgt zugleich für eine gewisse Kompaktheit und Grundspannung im oberen Rücken- und Schulterbereich.
Auch die Knie werden mit zunehmender Tiefe der Kniebeuge immer weiter nach vorne geschoben. Dies kann mit gesunden Knien und einer kontrollierten Ausführung bedenkenlos getan werden. Die Scherkräfte im Kniegelenk steigen hier um bis zu 30%, was gegenüber anderen Belastungen jedoch als gering und ungefährlich kategorisiert werden kann. Zum Vergleich werden unsere Knie beim Laufen mit dem bis zu 4-fachen, bei Drei-Springern auf Spitzenniveau mit dem bis zu 18-fachen Körpergewicht belastet.
Wird das Vorschieben der Knie hingegen verhindert, geht dies in den meisten Fällen mit einer größeren Vorlage des Oberkörpers einher. D.h. der Oberkörper neigt sich nach vorne und der horizontale Abstand zwischen Schwerpunkt (Langhantel) und Drehpunkt (Hüftgelenk) vergrößert sich. Die hierbei entstehenden Scherkräfte sind bis zu 10-mal höher (1000%!) als mit aufrechtem Oberkörper und nach vorne geschobenen Knien.
Vergleicht man die Anzahl der Hüftgelenks- und Rückenoperationen von Power-Liftern (Kniebeuge mit viel Vorlage des Oberkörpers, um mehr Gewicht zu bewegen) mit denen von Olympischen Gewichthebern (Kniebeuge mit aufrechtem Oberkörper und stark gebeugten Knien, um die Hantel vor/über den Kopf bewegen zu können) wird die biomechanisch sinnvollere Variante deutlich. Weltklasse Power-Lifter haben aufgrund der hohen Belastungen auf die Hüftgelenke und den unteren Rücken ab einem bestimmten Alter zumeist Hüftersatz und eine erhöhte Degeneration der Bandscheiben.
Die perfekte Kniebeuge.
Bei einem Training zur Steigerung der Belastbarkeit in Sport und Alltag orientieren wir uns demnach an der tiefen, olympischen Kniebeuge. Dazu gilt es zu bemerken, dass die Ausführung entsprechend der anatomischen Voraussetzungen des Trainierenden bei allen Personen etwas unterschiedlich aussehen wird. Das ist normal und muss auch so sein. Die eine perfekte Kniebeuge gibt es in der Praxis nicht. Natürlich muss man sich der optimalen Ausführung so weit wie möglich annähern, hierbei ist jedoch zu erkennen, dass sobald circa-maximale Gewichte zum Einsatz kommen, auch bei geübten Athleten, Abweichungen auftreten können. Solange diese jedoch kein großes Ausmaß erlangen, das Bewusstsein der Abweichung besteht, gezielt gegengearbeitet und die Kontrolle über die Bewegung beibehalten wird, stellt dies kein Problem dar. Würde man, um sämtliche Abweichungen auszuschließen, Intensität (Gewicht) und Volumen (Wiederholungsanzahl) so weit reduzieren, dass auch noch die letzte Wiederholung eines Satzes absolut perfekt ist, wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zum einem effektiven Trainingsreiz führen. Um Fortschritt zu erlangen, muss sich im Training an körperliche Grenzen herangetastet werden, sodass ein wirksamer Trainingsreiz gesetzt wird. Wir zeigen unserem Körper sozusagen auf, wohin er sich entwickeln soll.
In der Trainingsplanung gilt es demnach, ein wirksames Trainingsgewicht zu wählen mit dem eine Ausführung mit guter Form und über den vollen Bewegungsumfang möglich ist. Zusätzlich sollte auch auf individuelle Voraussetzungen eingegangen werden. So kann die Erhöhung der Fersen bei Personen mit eingeschränkter Beweglichkeit im Sprunggelenk hilfreich sein, um den Bewegungsumfang zu vergrößern. Mit dem sog. Quad-Squat kann die Belastung gezielt auf den Quadriceps gelenkt werden. Dabei wird es auch Personen mit sehr langen Beinen leicht fallen in die tiefe Beuge zu gehen und den Oberkörper dabei aufrecht zu halten. Mit dem Klokov-Squat kann gezielt die untere Position überladen und trainiert werden, um hier stärker und sicherer zu werden. Der Fokus auf den exzentrischen Teil des Bewegungsablaufs der Kniebeuge beim Medvedev-Squat sorgt für große Zuwächse in Kraft und Hypertrophie.
Wie bei allen anderen Kraftübungen sollte ein methodisch sinnvoller und zielorientierter Wechsel zwischen den verschiedenen Variationen der Kniebeuge in einer professionellen Trainingsplanung berücksichtigt werden, um langfristigen Fortschritt zu gewähren.
Ein Körper der einer tiefen und schweren Kniebeuge gewachsen ist, ist ein starker Körper.